Bedarfsermittlung und Bedarfsplanung im Bauwesen

Relevanz der Bedarfsermittlung in frühen Projektphasen

Die Bedarfsermittlung ist ein zentraler Baustein der frühen Projektphase. Sie umfasst die systematische Erfassung, Analyse und Priorisierung der Anforderungen des Auftraggebers sowie der späteren Nutzer. Eine präzise Bedarfsermittlung bildet die Grundlage für ein funktionales, wirtschaftliches und nachhaltiges Gebäudekonzept und reduziert Planungsänderungen, Nachträge und Konflikte in späteren Leistungsphasen.

Durch eine strukturierte Bedarfsplanung werden Ziele, Nutzungsanforderungen, Qualitätsniveaus, Flächenbedarfe, technische Standards und wirtschaftliche Rahmenbedingungen frühzeitig geklärt und in eine prüffähige, dokumentierte Grundlage für die weitere Planung überführt.


Normativer Rahmen – DIN 18205 „Bedarfsplanung im Bauwesen“

Die Norm DIN 18205:2016-11 „Bedarfsplanung im Bauwesen“ beschreibt ein standardisiertes Verfahren zur Ermittlung und Dokumentation des Bedarfs. Sie legt fest,

– welche Informationen zu erheben sind,

– wie diese zu strukturieren und zu analysieren sind,

– in welcher Form ein Bedarfsplan aufzubereiten ist, damit er als belastbare Grundlage für die folgenden Planungs- und Entscheidungsprozesse dienen kann.

Die DIN 18205 unterstützt damit Auftraggeber, Nutzer und Planende bei der transparenten und nachvollziehbaren Übersetzung von Zielen und Anforderungen in konkrete Vorgaben für das Gebäude und seine Funktionen.


Vorgehen nach DIN 18205 – Kurzleitfaden

Auftraggeber- und Bauherrenbedarf analysieren

Im ersten Schritt werden die Ziele des Auftraggebers systematisch erfasst und geordnet. Dazu gehören unter anderem:

– funktionale Anforderungen (Nutzungen, Prozesse, Raumzusammenhänge),

– qualitative Anforderungen (Ausstattung, Komfort, gestalterische Vorstellungen),

Flächen- und Raumprogramme,

– Termin- und Budgetrahmen,

– strategische Zielsetzungen (z. B. ESG, Nachhaltigkeit, Zertifizierungen).

Eventuelle Zielkonflikte – etwa zwischen Kosten, Qualität, Nachhaltigkeit und Terminen – werden benannt und dokumentiert, um sie später bewusst und nachvollziehbar entscheiden zu können.

Nutzerbedarfe ermitteln

Parallel dazu werden die Bedürfnisse der späteren Nutzer untersucht. Dies umfasst:

– Nutzungsprofile und Betriebsabläufe,

– Belegungsgrade und Organisationsformen,

– Anforderungen an Barrierefreiheit, Sicherheit, Arbeits- und Aufenthaltsqualität,

– Anforderungen an Betrieb, Wartung und Instandhaltung.

Die relevanten Stakeholder (z. B. Nutzervertretungen, Facility Management, Betriebsverantwortliche) werden strukturiert eingebunden, um eine breit abgestützte Grundlage für die Planung zu schaffen.

Rahmenbedingungen und Randbedingungen prüfen

Im nächsten Schritt werden die äußeren Rahmenbedingungen analysiert:

– Standort und städtebauliches Umfeld,

– bauordnungsrechtliche und fachrechtliche Vorgaben,

– technisch-wirtschaftliche Randbedingungen (Infrastruktur, Energieversorgung, Erschließung),

– Anforderungen aus Arbeitsschutz, Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Lebenszykluskosten.

Die Betrachtung umfasst sowohl die Errichtungsphase als auch den späteren Betrieb (Betriebs- und Instandhaltungskosten, Flexibilität, Umnutzungsfähigkeit).

Bedarfsplan erstellen und dokumentieren

Die Ergebnisse der Bedarfsermittlung werden in einem strukturierten Bedarfsplan zusammengefasst. Typische Inhalte sind:

– Zielsystem des Projekts (Leitziele, Unterziele),

– klare Trennung von Muss- und Kann-Anforderungen,

– Flächen- und Funktionsprogramm (Raumarten, Größen, Beziehungen),

– qualitative Anforderungen (z. B. Raumklima, Akustik, Tageslicht, Energie- und Komfortstandards),

– technische und organisatorische Performancekriterien,

– Terminziele, Budget- und Kostenrahmen,

– erste Risikobetrachtung und Annahmen.

Zudem werden Versionierung und Änderungsmanagement festgelegt, damit Anpassungen im Projektverlauf nachvollziehbar dokumentiert und gesteuert werden können.


Ergebnis und Nutzen der Bedarfsplanung

Die Bedarfsermittlung nach DIN 18205 ermöglicht eine präzise Übersetzung der Anforderungen von Auftraggeber und Nutzern in ein tragfähiges Gebäudekonzept. Sie schafft:

Transparenz über Ziele, Prioritäten und Randbedingungen,

– eine belastbare Grundlage für Wettbewerb, Vorplanung und Entwurfsplanung,

– eine verbesserte Entscheidungsqualität in frühen Projektphasen,

– eine deutliche Reduzierung von Planungsänderungen, Nachträgen und Zielkonflikten in späteren Phasen.

Damit ist die Bedarfsplanung ein wesentlicher Faktor für den Erfolg von Bauprojekten, insbesondere im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit, Funktionalität, Nachhaltigkeit und langfristige Nutzungsqualität.